Donnerstag, 29. März 2012

yes we care

Es gibt Firmen die geben Weihnachtsgeschenke, andere sind grosszügig bei Jubiläen.

JoBo's Firma hegt und pflegt die seltene Tradition der Ostergeschenke. Jedes Jahr vor den Feiertagen finden originelle und weniger originelle Präsente den Weg in die Postfächer der Mitarbeiter. Ob Schokoladeneier, Osterkäsebretter oder Geldbeträge, man freut sich alle Jahre wieder auf den Gang zur österlichen Geschenkvergabe.

Wie es wohl dieses Jahr sein wird? Welches Geschenk das neue angelsächsische Management diese Ostern ausgesucht hat? Innerhalb der Crews war man gespannt. Was sich am Gründonnerstag in den Postfächern befand, schockierte selbst die loyalsten Mitarbeiter:


Yes, we care!
Dear staff,
Due to the financial situation caused by the slowdown of the global economy since last Christmas, Management has decided to implement a scheme to put workers of 40 years of age on early retirement. This scheme will be known as RAPE (retire aged people early).
Persons selected to be RAPED can apply to management to be eligible for the SHAFT scheme (special help after forced termination). Persons who have been RAPED and SHAFTED will be reviewed under the SCREW scheme (scheme covering retired early workers). A person may be RAPED once, SHAFTED twice and SCREWED as many times as the management deems appropriate.
Persons who has been RAPED can only get AIDS (additional income for dependants of spouse) or HERPES (half earnings for retired personnel early severance). Obviously persons who have AIDS or HERPES will not be SHAFTED or SCREWED any further by management.
Persons staying on will recive as much SHIT (special high intensity training) as possible. Management has always prided itself on the amount of SHIT it gives to employees. Should you feel that you do not recive enough SHIT, please bring this to the attention of your superior. They have been trained to give you all the SHIT you can handle.
Sincerely,
the Management

Freitag, 16. März 2012

neues Tuch


In der Luft lag ein Duft von Bergamotte, kombiniert mit Mandarine, Orangenblüte und Zitrone – oder waren es Jasmin, Maiglöckchen und Zimt – oder gar Patchouli, Sandelholz, Tonkabohne und Vanille?

Egal nach was es roch, es war zuviel des Guten.

Im Raum schwirrten haufenweise Männer herum, die sich hektisch bewegten und dabei die Hüften schwangen, als ob sie mit ihren Ärschen ihr Geld verdienen würden. Massbänder wurden um Hüften gelegt, Kopfumfänge gemessen und Schrittlängen bestimmt. Die arschschwingenden Knaben waren ausnahmslos ganzkörperrasiert, bis auf die Dreitagebärte, die nach neuster Mode gestylt wurden. Sie waren die heimlichen Stars des Tages. Die Hosen waren eng um den gutrainierten Po geschnitten und zwischen Jacket und den harten Bauchmuskeln fand kaum ein Finger Platz. Es war eine Demonstration der Jugend gegen das Alter, der Körperkultur-Freaks gegen die Gourmets und der Schwulen gegen die Heteros.

Die SCREW-Airlines kriegte neue Uniformen und heute war Masstag für die Piloten.

JoBo betrat das viel zu kleine Zimmer und schnappte nach Luft. «Joop Homme» verpestete den Raum und das Atmen fiel schwer. Er erblickte zwischen den Messdienern, bzw. den Schneidern einige bekannte Gesichter, die allesamt grimmig dreinschauten.

«Die Hose passt perfekt!»
«Nein, die ist viel zu klein!»
«Die 52 ist ihre Grösse!»
«Notieren sie 56 hinter meinem Namen.»
«Dann sehen sie aus wie ein Sandsack!»
«Mir egal, mich sieht ja niemand.»
«Aber sie repräsentieren die Airline und müssen demensprechend aussehen.»
«Wenn ich das Tuch so eng trage wie sie, schlafen mir spätestens nach fünf Minuten die Eier ein…»
«Aber Herr Flugkapitän, die 52 betont ihren vom Langlauf gestählten Hintern.»
«Ich stehe nicht bei der Arbeit, ich sitze!»
«52!»
«56!»
«Machen wir einen Kompromiss: 53?»
«56!»
«Vielleicht 54?»
«56!»
«Aber denken sie an die bewundernden Blicke, die ihnen entgehen, wenn sie eine 56 tragen.»
«Ich bin Hetero.»
«Gerade Frauen schauen Männern zuerst auf den Hintern.»
«Ja aber nicht auf die Arschbacken, sondern auf den Geldbeutel. Darum brauche ich die 56!»
«OK, 56 ist notiert…»

Die Hose stand zuoberst auf der Liste, es folgten noch 14 weitere Uniformstücke.

«So Herr Flugkapitän, jetzt messen wir ihren Kopfumfang.»
«Sie müssen nicht messen, ich habe Hutgrösse 64.»
«Unmöglich!»
«Was heisst hier unmöglich? Messen sie!»
«63.7, Potzblitz! Ich notiere Grösse 62.»
«Ich brauche 64.»
«62 – grösser haben wir nicht.»
«Was tragen sie für eine Hosengrösse?»
«52, warum?»
«Dann tragen sie Morgen einen Tag lang Hosen der Grösse 50 und wenn ihre Eier am Abend nicht himmelblau sind, dass dürfen sie mir Hutgrösse 62 bestellen.»
«Aber wir haben nur Hüte bis zur Grösse 62.»
«Notieren sie: Bohnenblust will keinen Hut.»
«Aber das geht nicht, der Hut gehört zu der Uniform.»
«Was ist die kleinste Grösse, die sie haben?»
«52»
«Dann geben sie mir die 52.»
«Aber der passt doch nicht.»
«Die 62 passt auch nicht und da ich den Hut sowieso mit einem Klettverschluss am Pilotenkoffer befestige, nehme ich lieber einen kleinen, der stört dann weniger.»

Auf der Stirn des Messdieners bildeten sich erste Schweisstropfen und die Vanillenote wich einem leicht säuerlichen Geschmack.

«Lockern sie doch den Krawattenknopf ein wenig, sie schwitzen ja.»
«Nein, nein, es geht schon.»
«So Herr Flugkapitän, jetzt kommen wir zur Krawatte.»
«Nennen sie mich nicht dauernd Flugkapitän. Ich bin der JoBo.»
«Ich finde Flugkapitäne sexy.»
«Ich will für sie aber nicht sexy sein.»
«Dann nenne ich sie Herr Bohnenblust!»
«Mir egal. Also, was ist jetzt mit den Krawatten?»
«Wollen sie die rotgestreifte mit den himmelblauen Delfinen oder die hellblaue mit den Seepferdchen?»
«Gibt es keine Schwarze? Die könnte man auch bei Beerdigungen tragen?»
«Nein, unser Chefdesigner Salvatore di Bianchi ist ein Haute Couture, Farben liegen voll im Trend und passen zum jugendlichen Image ihrer Airline.»
«Richten sie ihrem Herrn di Bianchi aus, dass was auch immer er nimmt, er davon weniger konsumieren sollte.»

«So jetzt kommen wir zu der Jacke aus Wolle für die kalten Wintertage.»
«Zu was bitte?»
«Zu der Wolljacke für kalte Wintertage.»
«Ich nehme den Pullover.»
«Es gibt in der aktuellen Kollektion keine Pullover. Die tiefgeschnittene Wolljacke passt ausgezeichnet zum Regenmantel aus Kunstfasern.»
«Dann aber bitte das Herrenmodel.»
«Dies ist das Herrenmodell!»
«Was soll dann bitte diese Verzierung, dieser Weiberkram?»
«Ein ganz grosser Wurf von Herrn di Bianchi. Der Weiberkram wie sie es nennen, symbolisiert die Dynamik der Airline und verleiht der Wolljacke einen Hauch von Eleganz und Grazie.»

«HERR BOHNENBLUST, KAPITÄN AUF DEM FLUG 566 NACH BREMEN BITTE UMGEHEND INS BRIEFING!»

JoBo verabschiedete sich vom Massdiener, unterschrieb einen Stapel Quittungen und eilte in den Briefingraum «Delta».

Sechs Wochen später standen vier Schachteln vor JoBo’s Haustüre und darin befanden sich die Uniformteile in den Grössen «zu klein», «viel zu klein» und «viel zu gross».
Nur der Hut Grösse 52 passte perfekt auf den Pilotenkoffer, wo er mit zwei Bahnen Klettverschluss umgehend montiert wurde.

Samstag, 10. März 2012

Das Duell


Die Busfahrt
Vorne links war sein Platz im Leben, hinten rechts im Bus. Mit seinen Fingern umklammerte er seinen X-IUM WCS NIS 1, der für 180 Franken mit einem Diamantschliff behandelt und danach mit rotem, weissen und grünen Wax und einem anderen der Giftklasse 3 getränkt und wieder ausgebürstet wurde. Sein rechter Zeh schmerzte ein wenig, dies aber nicht etwa weil der ACTIVE 8X SK drückte, sondern weil die Spitze des LEKI SUPER SHARK wegen fehlender Beinfreiheit auf eben diesem Zeh ruhte.
Die Handschuhe CRAFT ELITE GLOVE hielt er mit der anderen Hand fest und der Wärmeschutz aus doppelt verleimter Gore-Tex Faser wartete in der dünnen Effektentasche auf ihren Einsatz. Für jedermann sichtbar, erstrahlte die Startnummer 21245 auf seiner Brust. Er war Teilnehmer der Elite C Kategorie und er war stolz darauf.
Jaques Gonfler war bereit, bereit für den Engadin Ski Marathon 2012.

Im Bus wurde geredet, abenteuerliche Waxtipps machten die Runde und Bananen wurden verspeist, als handelte es sich beim Postauto um das Affenkäfig vom Zürcher Zoo. Obwohl das Postauto mit einer grosszügigen Skibox ausgerüstet war, verstauten nur einige Greenhörner ihre wertvollen Latten im Aussenbereich. Zuviel Arbeit steckte in ihnen, zu viel Leid wäre damit verbunden, wenn nur etwas Strassensalz auf die blankpolierten Beläge käme.

Die Scheiben des Buses waren angelaufen. In den Mägen der Läufer wurden die Müsli verdaut, die später kiloweise im Verdauungstrakt dahingarten und im Laufe des Tages noch für manch einen unappetitlichen Furz verantwortlich sein würden.

Maloja kam näher, die Spannung stieg. Noch 90 Minuten bis zum Start des Engadin Ski Marathons.

Im Startgelände
JoBo hüpfte von einem Fuss auf den anderen. Es war kalt an diesem frühen Morgen im Engadin. Obwohl es noch über 50 Minuten dauerte, bis der Kanonenschuss die ersten Teilnehmer auf die Loipe schickte, stand er bereits im dünnen Adidas Dress im Startfeld und fror wie ein Flight-Attendant während eines Nachtflugs. Das stete Hüpfen gab nicht wirklich warm, beruhigte aber seine Nerven. Trotz frühem Einstehen, stand er nur in der fünften Reihe. Vor ihm reihten sich hunderte von alten Langlauflatten auf, die Teilnehmer trotz Verbot am Vorabend dort platzierten. Er hasste diese Platzreservierer am Engadiner genauso, wie die am Sandstrand in Spanien. Letztendlich war es Betrug, doch denen würde er es sportlich zurückzahlen.

Die vielen hundert Läufer, die sich hinter ihm aufreihten, trösteten ihn über die klammen Zehen hinweg. Es hatte sich gelohnt, das frühe Einstehen. Die Kerle hinter ihm musste er wenigstens nicht mehr überholen.
Noch zehn Minuten bis zum Start der Elite C. Mit einem lauten Knall wurden die ersten zwei Kategorien auf die Reise geschickt, JoBo musste sich noch gedulden. In weniger als 100 Minuten wird der erste das Zielband durchtrennen. Mit viel Glück und dank dem intensiven Training, würde JoBo dann La Punt erreicht haben.
Unruhe machte sich breit im Feld hinter ihm. Die Skireservierer liefen gut aufgewärmt zwischen den korrekt eingestandenen Läufern hindurch und suchten ihre am Vorabend hingelegten Skis. JoBo beobachtete ein älteres Semester, das eine ausgetragene Windjacke sorglos in die Ecke warf und die alten gegen die neuen Skis austauschte. War das nicht… – richtig! – das war Jaques Gonfler, seit drei Jahren pensioniert, offensichtlich immer noch ein grosser Egoist und mindestens 15 Kilogramm leichter.
«Dem werde ich es heute zeigen!»

Der Start
Ein lauter Knall, das Startband schoss nach oben und weitere 1500 Läufer wurden auf die Strecke geschickt.

Gonfler zog mit kräftigen Doppelstockstössen davon. Der Läufer hinter ihm fluchte. Offensichtlich hat er etwas von Gonflers Stock abbekommen. «Selber Schuld!», dachte Gonfler und war froh, dass er dem hektischen Startprozedere ohne Materialschaden entkommen ist. Er lief ganz rechts auf der eisigen Spur, die um einen Zacken schneller war, als die weiter links. Vor ihm lief eine junge Dame in schneeweissem und nicht ganz blickdichtem Dress. Elegant beschleunigte sie im 2-1, fand einen lockeren Rhythmus und hatte zu Gonflers Freude eine ausgezeichnete Figur. Er erkor diese Gazelle als seinen persönlichen Schrittmacher und klebte sich förmlich an ihr Hinterteil. «Ein schöner Arsch», dachte er bei Tempo 30. Gonfler war einen Moment unachtsam, rutschte auf einer Eisplatte aus und wurde Sekunden später zum Fundament eines aus mindestens fünf Langläufern bestehenden Menschenhügels. Rundum wurde geflucht. Kraftwörter machten die Runde und das Knäuel aus Mensch, Ski und Stock wurde entwirrt. Gonfler blutete aus der Nase. Aber das war nicht sein grösstes Problem. Einer der beiden LEKI SUPER SHARK, gekauft für 398 Franken, war nur noch halb so lang. Auch das wäre verkraftbar gewesen, denn in weniger als einem Kilometer kam eine Station, bei der er defektes Material austauschen konnte. Was ihn wirklich störte war das Grinsen einer Person, die er schon vor Jahren aus seinem Gedächtnis gestrichen hatte. Dieser JoBo zog locker an ihm vorbei und wünschte ihm viel Glück.


KM 5 – Sils Maria
JoBo beschleunigte und fühlte sich stärker als je zuvor. Dieser Gonfler hatte er fürs Erste abgehängt und der Ski lief ausgezeichnet. Viel schneller als geplant kam er vorwärts und überschätzte sich und seinen Trainingszustand grandios. Bei Kilometer 5 kam die Quittung postwendend. Es war nur ein kleiner Strassenübergang, der kaum einen Meter höher lag als die Loipe und kurz vor dem Rennen notdürftig mit Schnee bedeckt wurde. Der Schnee war knöcheltief und weich. Die geringe Höhendifferenz brachte JoBo aus dem Rhythmus und er brach ein wie ein baufälliges Haus bei einem Erdbeben. Links und Rechts zogen farbige Startnummern an ihm vorbei und JoBo verlor Rang um Rang. Er brauchte jetzt dringend einen Energieschub. Bis zur Verpflegungsstation Surlej waren es noch fünf endlos lange Kilometer im Gegenwind. Was nun?

Gonfler erhielt kurz nach dem Startgelände einen Ersatzstock. Da leider nur wenige Menschen so kleingewachsen waren wie er, war das viel zu schwere Teil zu allem Elend auch noch zu viel lang. Er konnte seine ausgefeilte Technik nicht ausspielen und musste mit dem zu langen Stock auf die Seite ausweichen, was auf den letzten drei Kilometern mindestens sechs Läufern zum Verhängnis wurde. Doch das war ihm ziemlich egal. Der Marathon war Kampf, der Marathon war Krieg!
Beim Strassenübergang in Sils – gleich hinter der KM 5 Tafel, sah er JoBo auf die Stöcke gestützt tief durchatmen. «Les jeunes sont deja fatigué!» Jetzt lachte Gonfler und er überholte JoBo mit Genuss.

KM 10 – Surlej-Silvaplana
Bei Kilometer 10 wurden die Teilnehmer daran erinnert, dass der Lauf nicht nur auf ebenem Terrain stattfand. Die Steigung nach Surlej war im doppelten Sinne brutal. Nicht nur der schnelle Rhythmus wurde gebrochen, auch die Schneebeschaffenheit veränderte sich schlagartig. Die schnelle Loipe wurde langsamer.

JoBo fand dank eines Red Bulls, das ihm ein Zuschauer zusteckte, wieder zu fast alter Frische zurück. Er lief kräfteschonend über die Seen Richtung Surlej und kam erstaunlich gut voran. Er glaubte ein paar Positionen weiter vorne den Anzug von Gonfler zu erkennen, war sich aber nicht ganz sicher. Im Moment hatte anderes Priorität. Nur keine zweite Krise, nur den Rhythmus nicht verlieren.

Gonfler blickte nach rechts. Da war er wieder der junge Copilot. Dieser JoBo schien zäher als erwartet. Ein Spurwechsel war unmöglich, die Teilnehmerschlange näherte sich der Schanze bei St. Moritz und dieser kurze Anstieg führte unweigerlich zum Stau. Doch Gonfler wusste sich zu helfen…

KM 12 – Schanzenaufstieg St, Moritz
Stau und Steigung. Dieses Hindernis war nur im Grätschschritt zu überwinden. Diszipliniert und dankbar für die kleine Verschnaufpause, reihten sich die Teilnehmer ein und bildeten vier Spuren, die sich ihren Weg nach oben suchten. JoBo war schon fast oben angekommen, als er lautes Fluchen hinter seinem Rücken vernahm. Einer der Teilnehmer hatte wohl die Geduld verloren, erklomm die Steigung mit kräftigen Doppelstockstössen und fuhr dabei hemmungslos über die Skispitzen der anderen Läufer hinweg. JoBo wunderte gar nichts mehr. Es konnte nur Jaques Gonfler sein.

KM 19 – Stazerwaldabfahrt
Eigentlich kein Problem diese Abfahrt. Dank des immer besser werdenden Materials konnte jeder halbwegs talentierte Skiläufer diese Schussfahrt mit Links meistern. Der Schnee war weich, die Bäume mit alten Matratzen gepolstert. Doch hie und da gab es Teilnehmer, die unkonzentriert, müde oder beides waren und im dümmsten Moment stürzten. Sehr zum Gaudi der zahlreichen Zuschauer und des Speakers, der jeden noch so kleinen Sturz mit seinen Sprüchen zum Ereignis machte. Das Humorfestival war nichts dagegen.

Gonfler war tief in der Hocke. Die Stöcke unter den Armen, den Blick unter der Sonnenbrille hervor. Elegant schoss er gegen Pontresina hinunter und überholte so manchen Konkurrenten, den er vorher hatte ziehen lassen müssen. Da war sie wieder, die Hübsche in ihrem weissen und nicht ganz blickdichten Anzug. Sie kurvte ebenso elegant wie Gonfler gegen den Talboden, war aber etwas langsamer. Gonfler zog etwas nach links, um die Holde zu überholen. Dabei übersah er einen Wurzelstock, der wegen des Schneemangels herausguckte. Die rechte Skispitze fädelte ein, Gonfler versuchte zu korrigieren, traf dabei mit dem linken Stock einen Teilnehmer am Schienbein und landete hart und spektakulär an einer Schlafunterlage aus dem Hause Happy. Der Speaker lief zu Hochform auf und die Zuschauer tobten. Ein Sanitäter eilte herbei und löste die Bindung, damit sich Jaques aufrichten konnte. Die Brille war gebrochen, die Nase auch, der geliehene Stock lag in vier Teilen auf dem Boden und Gonfler blutete. Auf der rechten Seite war sein dünnes Laufdress aufgerissen und auf der Haut erkannte man Schürfwunden. Am übelsten sah aber die Platzwunde am Kopf aus. Alles tat ihm weh, der Sanitäter machte sein G-A-B-I. Für jedermann war jetzt klar, dass für den Teilnehmer mit Startnummer 21245 der Engadiner hier zu Ende war – ausser für Jaques Gonfler. Als er JoBo vorbeibrettern sah, zog er schnell die Skis an, griff nach den intakten Stock und hinterliess im Schnee eine blutige Spur.

KM 21 – Pontresina
Ein Arzt nahm Gonfler aus dem Rennen. So weiterzulaufen war aus medizinischer Sicht unverantwortlich. Gonfler wurde trotz heftigem Protest in das Sanitätszelt gebracht und verarztet. Da ein Verdacht auf eine Hirnerschütterung bestand, wurde Gonfler die Startnummer abgenommen und erste Untersuchungen durchgeführt. Eine durchaus attraktive Krankenschwester nahm seinen Puls und verabreichte ihm ein starkes Schmerzmittel. «Er solle hier mindestens eine Stunde liegen bleiben», meinte der Arzt. Gonfler dachte nicht im Traum daran.

KM35 – Madulain
JoBo lief wie in Trance. Jeder Schritt schmerzte, jeder Stockeinsatz war eine Qual. Der Schnee wurde weicher und die Sonne brannte unbarmherzig auf die Teilnehmer herunter. Wo wohl Gonfler war, fragte sich JoBo und lief wie im Rausch weiter.

KM 40 – Golanhöhen
Die Stimme des Speaker war gut zu hören. Jeden Einlauf kommentierte er, als wäre derjenige gerade Olympiasieger geworden. JoBo fehlten noch zwei Kilometer, bis er endlich seinen Namen zu hören kriegte.

«Und jetzt im Ziel Jaques Gonfler aus Villars. Heja, heja.»

Der Alte hatte es also geschafft und ihn abgehängt. Diese Tatsache demoralisierte JoBo und raubte ihm die letzten Reserven. Mit allerletzter Kraft rettete er sich über die Ziellinie und brach zusammen.

KM 42 – das Ziel
«Und jetzt im Ziel Johannes Bohnenblust aus Eggiswil. Heja, heja.»

Seine Beine schmerzten, die Arme brannten. Um ein Haar hätte es sich vor Erschöpfung übergeben. Eine helfende Hand begleitete ihn aus dem Zielgelände und führte den erschöpften JoBo zu einer Sitzgelegenheit. Er gab eine himmeltraurige Figur ab, das war er sich bewusst. Zu allem Elend kam ihm auch noch der grinsende Gonfler entgegen. Etwas übel zugerichtet, aber bestens erholt.

Man gratulierte sich sportlich und Gonfler genoss seinen Triumpf.

Vier Stunden später
Endlich im Hotelzimmer. Endlich eine Dusche. JoBo legte sich vorsichtig auf das Bett. Jeder Knochen schmerzte, jede Sehne spannte. Er startete seinen Laptop auf und suchte unter den Rangierten seinen Namen. Rang 3451 – enttäuschend. Die Qualifikation für die Elite C im nächsten Jahr hatte er deutlich verpasst und die Zeit war blamabel. Er suchte nach den Resultaten seiner Freunden und Personen aus seinem Dorf. Als letzten gab er den Namen Gonfler ein. Dieser fehlte – ein Computerproblem?
Er surfte durch die Seiten des Veranstalters und betrachtete Bilder vom Tag. Er bewunderte die Sieger und bemitleidete die letzten, die mehr als doppelt solange benötigten wie er.

Als er den Computer ausschalten wollte, bemerkte er einen Link mit dem Titel «Disqualifikationen». Aus Neugierde klickte JoBo auf den Link.
Zuoberst auf der Linie stand der Name Gonfler.

«Hat eine Teilstrecke mit dem Auto absolviert», stand hinter Gonflers Namen. «Gesperrt bis 2015», eine Zeile darunter.

JoBo war froh, dass es im nächsten Jahr nicht zur Revanche kam. Diesen Wahnsinn will er sich nicht noch einmal antun!

Dienstag, 6. März 2012

Migrationsprobleme


Das Schreiben der Firma war klar, wenn auch etwas unverständlich:

Unsere IT-Abteilung hat einen grossen Wurf gelandet und neue Tools zur Vereinfachung der Abläufe entwickelt, welche ihr Arbeitsumfeld wesentlich vereinfachen werden. Lesen sie die folgende Erklärung genau durch und folgen sie den einfachen Installationsvorschriften. Wir wünschen ihnen mit dem neuen Software-Umfeld viel Vergnügen.

Erklärung zur Installation:
Diese Dokumentation zur Migration vereinfacht die Migration von Serverrollen, Features, Betriebssystemeinstellungen und Daten von einem vorhandenen Server unter Windows Server® 2003 oder Windows Server® 2008 zu einem Computer unter Windows Server® 2008 R2. Wenn Sie Rollen, Rollendienste und Features mithilfe der Migrationshandbücher, für die auf dieser Seite Links bereitgestellt wurden, und ggf. den Windows Server-Migrationstools migrieren, können Sie die Bereitstellung neuer Server vereinfachen (einschließlich der Server, auf denen die Server Core-Installationsoption von Windows Server 2008 R2 ausgeführt wird, und virtueller Server), die Downtime während der Migration minimieren, die Genauigkeit des Migrationsvorgangs verbessern und Konflikte vermeiden, die andernfalls während der Migration auftreten könnten.
Die meisten Dokumentationen und Tools zur Migration, die auf dieser Seite aufgeführt sind, unterstützen architekturübergreifende Migrationen (x86-basierte zu x64-basierten Computerplattformen), Migrationen zwischen physischen und virtuellen Umgebungen sowie Migrationen zwischen der vollständigen Installation und der Server Core-Installation des Windows Server-Betriebssystems (sofern verfügbar).

Wichtig für die Installation:
Informationen zum Migrieren von Rollen und Daten von einem Failovercluster unter Windows Server 2003, Windows Server 2008 oder Windows Server 2008 R2 zu einem Failovercluster unter Windows Server 2008 R2 finden Sie im Thema zum Migrieren von Einstellungen zu einem Failovercluster unter Windows Server 2008 R2 (möglicherweise in englischer Sprache).

JoBo wollte eigentlich für den halbjährlichen Check büffeln, brauchte dazu aber die Handbücher, die seit letzter Woche nur noch auf dem neuen System verfügbar waren. Eine Kleinigkeit für den ehemaligen Software Ingenieur!, dachte JoBo um 8 Uhr in der Früh mit einer dampfenden Kaffeetasse neben seinem brandneuen MacBook Pro.

Wollen sie die Seite des unbekannten Herstellers wirklich öffnen?

Ja!

Sie haben ein Programm eines unbekannten Herstellers heruntergeladen und gefährden so die Daten auf ihrem Computer. Wählen sie LÖSCHEN, AKTIONEN, ABBRECHEN.

«Ich will das installieren, Gopfristutz!» JoBo drückte AKTIONEN und lag damit goldrichtig.

Offensichtlich vertrauen sie dem unbekannten Hersteller, wollen sie die Software wirklich installieren? Seinen sie sich bewusst, dass dieses Programm bösartige Routinen ausführen könnte, die ihren Computer beschädigen würden.

Ja ich will!
Es war mittlerweile 08:30 Uhr und JoBo hatte noch keine der laut Checkprogramm zu lesenden 723 Seiten studiert.

Haben sie einen SCREW Firmencomputer oder benutzen sie eine private Maschine?

JoBo war nicht Kader, so drückte er auf PRIVAT.

Die Installation dauert ein paar Stunden. Gönnen sie sich in der Zwischenzeit einen Kaffee...

Die zweite Tasse Kaffee war leer und draussen schlug die katholische Kirchenuhr neun Mal. 1222 der 6745 Dokumente waren in der Zwischenzeit heruntergeladen, es dauerte also noch eine ganze Weile. Der Simulatortermin war am nächsten Tag um 6 Uhr in der Früh und der liess sich im besten Willen nicht verschieben.

1377 von 6745 – JoBo ging joggen.

Verschwitzt und gut gelaunt traf JoBo 90 Minuten später vor seiner Haustüre ein. Die Schuhe standen vor Dreck und auch JoBos Kleider sahen aus, als ob er auf der militärischen Kampfbahn war. Nach der Dusche und einem kräftigen Schluck eines isotonischen Durstlöschers, schaute JoBo auf den Bildschirm.

2131 von 6745 – JoBo fluchte.

Aus seinem Crewbag nahm er das einzig noch verbliebene Papiermanual und vervollständigte die Revisionen, die er wegen seiner Ferien verpasst hatte. Dies und das hatte geändert, doch mit diesem Wissen lies sich am Check kein Blumentopf gewinnen. Er musste die wichtigen Unterlagen studieren und zwar jetzt!

3098 von 6745 – JoBo jammerte.

Der Magen knurrte und JoBo schaute auf die Uhr. Bereits 13:15 Uhr, kein Wunder hatte er Kohldampf. In der grossen Pfanne erhitzte er ein paar Liter Wasser, warf kräftig Salz hinein, wartete bis es sprudelte, warf die Spaghetti hinein und kochte sich auf einer kleinen Pfanne eine 5P Sauce. Sie kennen 5P nicht? Ein Rezept das so einfach ist, wie die Installation einer Mac Software auf einem Mac Betriebssystem. Man erhitze etwas Rahm (das erste P), lasse ihn ein paar Minuten köcheln, gebe reichlich Tomatenpurée hinein (das zweite P), pfeffere ordentlich (P Nummer 3), dazu gesellt sich Parmesan (hier haben wir Nummer 4) und geben FRISCHE Petersilie dazu (numero cinque). Et voila.
Die Teigwaren brauchten noch einige Minuten, Zeit genug einen Blick auf den Computer zu werfen.

4122 von 6745 – Bei JoBo machte sich Galgenhumor breit.

Nach dem wunderbaren Mahl, das reichlich Souvenirs auf Pullover, Tischtuch und Mundwinkeln hinterliess, lauschte JoBo den Kirchenglocken. Drei Schläge zählte er und der Computer zählte…

4865 von 6745 – JoBo schüttelte den Kopf.

Die Kaffeemaschine brummte und hinterliess in der vorgewärmten Tasse einen wunderbaren Espresso mit genau richtiger Temperatur und einem Geschmack, der besser nicht sein könnte. Dazu gönnte sich JoBo ein paar Cantucci aus dem Comestible gleich um die Ecke.

5412 von 6745 – JoBo bekam Lust auf ein Bier.

Es war noch immer Winter und die Tage dementsprechend kurz. Draussen dämmerte es wieder und das Radio meldete bereits Stau vor dem Gubrist und vor der Ausfahrt Urdorf Süd. Zum ersten Bier gesellte sich ein zweites. Eine Packung Nüsse wurde aufgerissen und am TV lief Glanz & Gloria in HD Qualität, was die dürre Moderatorin auch nicht besser aussehen liess. Schon 7 Uhr, jetzt sollte die Installation aber abgeschlossen sein.

6234 von 6745 – JoBo bejubelte leicht betrunken den Zieleinlauf. Plötzlich ein PING.

Die Installation wurde unerwartet abgebrochen, der Server reagiert nicht. Bitte versuchen sie es später noch einmal oder kontaktieren sie ihren IT-Verantwortlichen.

Im Keller schlummerte eine Flasche Ben Nevis und im Küchenschrank wartete noch eine Schachtel kubanische Zigarren auf ihre Bestimmung. Doch vor dem grossen Genuss musste noch ein Anruf getätigt werden.

«Crew Dispo, Hans Gaudenzi, sie wünschen?»

«Guten Abend Herr Gaudenzi, Bohnenblust Kapitän auf dem A320. Ich muss mich leider für Morgen krank melden. Mein Windows Server-Migrationstools will nicht migrieren!»


Sonntag, 4. März 2012

Motivationsseminar


Treue Leser mögen sich an die Abenteuer von JoBo erinnern. Nach dem abenteuerlichen Langstreckenflug als Copilot, dem Vierleger als Kapitän und den Winterferien im Engadin, begleiten wir den Jungkapitän heute an ein Motivationsseminar. Man möge mir Tippfehler verzeihen, ich habe diesen Beitrag auf dem iPad verfasst.


Im Hintergrund läuft Jazz. Nicht diese berührenden und schwermütigen Töne, die man aus den Spellunken von Chicago kennt, sondern nervöse Klänge von einem Instrument, das sie in den Südstaten Banjo nennen.

Die vorderen Reihen waren leer, hinten drängten sich die Teilnehmer. Vier Flipcharts zählte JoBo und dahinter standen ein paar Pinnwände mit unbeschriebenem Packpapier bezogen. Das roch verdächtig nach Gruppenarbeit, das konnte ja heiter werden.

Die Dixieland-Klänge wurden leiser gedreht und der Dozent trat vor die Gruppe. Er trug die typische Lehrerkluft. Die Gesundheitsschuhe mit besonds viel Zehenfreiheit hätten wieder einmal eine Auffrischung vertragen. Sonst erschienen der Coach — so nannte er sich, tadellos gekleidet. Über die hellbraune Hose hing das karrierte Hemd und wurde von einem braunen Sakko aus Cord überdeckt, dessen Ellenbogenbereiche mit rotem Leder geschützt waren.

JoBo schaute sich im Klasenzimmer um. Die meisten seiner Kollegen sassen still im Sessel, hatten das Tagesprogramm vor sich und schauten abwesend auf einen immaginären Punkt irgendwo an der Wand hinter dem Coach. Dieser wirbelte im Raum herum und sprach schneller, als das Banjo noch vor Minutenfrist spielte.

Ein Copilot blödelte mit dem Handy herum und ausser einer Kollegin aus der Kabine, hörte niemand richtig zu. Es war auch noch viel zu früh. Der Zeiger der Uhr zeigte noch nicht einmal halb Neun und JoBo hatte bereits einen bedrohlich tiefen Koffeinspiegel.
Er studierte wann und wo er mit der Kabinenkollegin unterwegs war. Keine fünf Minuten später zauberte das Erinnerungsvermögen JoBo ein Lächeln auf die Lippen. Zara hieß die Kollegin und vor vielen Jahren war er mit der damals noch jungen und knackigen Zara in New York unterwegs. Ins Bett ging er damals mit der Trix, aber das war eine andere Geschichte.

"So kommen wir nun zur ersten Gruppenarbeit. Wir bilden drei Gruppen, die einen kleinen Vortrag zum Thema 'Kommunikation zwischen Hierarchiestufen' vorbereiten. Als Hilfsmittel stehen Flipcharts, das Whiteboard, Pinnwände und der Moderatorenkoffer, der wie immer mit verschiedenen Hilfsmitteln ausgestattet ist, zur Verfügung. Der Zeitrahmen beträgt 45 Minuten, danach gibt es Pause."

JoBo war in der Gruppe mit Zara, dem Handy Copiloten und einem Kollegen von einer anderen Flotte eingeteilt. Zara riss die Führung an sich und stellte sich ausgerüstet mit farbigen Stiften und bunten Papiersymbolen in Wolkenform vor das Flipchart. Doch wer glaubte sie beginne gleich mit der Arbeit, täuschte sich gewaltig. Zara zeichnete einen kunstvollen Rahmen um das Flipchart herum und verzierte es mit Blumen und anderen Symbolen. JoBo erinnerte das an die Motive der Bauernmalerei, die seine Großmutter auf die unmöglichsten Gebrauchsgegenstände zauberte. Es waren bereits zehn Minuten um, als das Kunstwerk endlich fertig war.
"Um was geht es eigentlich?", erkundigte sich der Handy-Copilot mit norddeutschem Akzent. "Um die Kommunikation zwischen den Hierarchiestufen", fauchte Zara zurück. "Warum verunstaltest du das Flipchart dermassen? Die Kommunikation zwischen Kabine und Cockpit ist doch klar geregelt. Entweder tanzt du nach der Pfeiffe des Kapitäns, oder falls der gerade nicht vor Ort ist, nach meiner! Da ändert auch dein Kunstwerk nichts daran."
Er tippte wieder Nachrichten in sein Handy und bemerkte nicht, wie Zara rot anlief. Die Aussagen des Copiloten kombiniert mit seiner Arroganz, brachten ihr Blut zum kochen. "Du arroganter kleiner Schwabe, was fällt dir eigentlich ein, mich so zu behandeln?"
"Erstens bin ich Schleswig-Holsteiner und zweitens scheinst du mit der nackten Wahrheit nicht umgehen zu können."

Der Coach schritt ein und unterbrach die Gruppenarbeiten. "In Gruppe zwei scheint es unausgesprochene Konflikte zu geben. Alle Teilnehmer greifen sich einen Stuhl und wir bilden einen Kreis. Begeben wir uns auf die Meta-Ebene und diskutieren dies aus."

JoBo ahnte, was ihm jetzt drohte. Solche Diskussionen führten nie zum Ziel und noch weniger in die Pause. Zara war der personifizierte Albtraum jedes Motivationsseminar-Teilnehmers. Solche Kurse liessen sich nur im STBY-Mode überleben. Übetriebenes Engagement führte zwangsläufig zu Mehrarbeit und späterem Feierabend.

Zara jammerte sich die Seele aus dem Leib und der Rest der Truppe fixierte diesen ominösen Punkt an der Wand, bei dessen Anblick einem das Zeitgefühl abhanden kommt.
Nach 30 Minuten holten die Beatles mit "let it be" die Seminarteilnehmer aus der Meta-Ebene zurück. Der Handy-Copilot spielte zum richtigen Zeitpunkt das richtige Lied auf seiner transportablen Jukebox ab.

"Das klärende Gespräche war wichtiger als die Pause. Ich schlage vor, dass die Gruppen auf ihren Kaffee verzichten und den Vortrag beenden." Ein Raunen ging durch die Reihen und JoBo schnappte sich den dicksten Filzstift, den er finden konnte. Er lief zum Whiteboard und schrieb mit großen Lettern: KOMMUNIKATION IST WICHTIG, KAFFEE AUCH!

Er packte seinen Geldbeutel und verschwand Richtung Cafeteria.

Noch bevor er die Türe hinter sich schloss, hörte er ein lautes und verzweifeltes "NEIN" des Coachs. Ob JoBo wohl die falschen Filzstifte erwischt hat?

Nach einem doppelten Espresso und einem Maisbrötchen, gemacht mit helvetischer Aufbackkunst, sah die Welt wieder ganz anders aus. Er marschierte Richtung Seminarraum, wo es ungewöhnlich streng roch. Der Hausmmeister fluchte in seinen Blaumann gekleidet laut vor sich hin und versuchte mit ätzender Flüssigkeit JoBos Weisheiten vom Whiteboard zu wischen. "Wie oft muss ich euch noch sagen, dass man auf dem Whiteboard mit wasserlöslichen Farben schreiben soll!"
Im Hintergrund lief Dixieland, was die Situation auch nicht unbedingt beruhigte. Zara zeichnete Tiere auf ihr noch unbeschriebenes Flipboard Chart und der Copilot sendete ununterbrochen Nachrichten Richtung Norden.

Es wurde langsam Mittag und die Mägen knurrten. Der Coach pendelte zwischen Whiteboard, Fipchart und Pinwand hin und her und fasste immer wieder zusammen, was die Truppe aus Nichtinteresse verpasste. Zara schrieb mit, benutzte sechs verschiedene Leuchtstifste, um die Notizen zu verschönern und hing dem Coach an den Lippen.
"Wenn keine Fragen mehr sind, dann machen wir nach dem Lunch weiter."
Zara hatte vier Fragen...

Unter dem Vorwand, er müsse im OPS noch etwas erledigen, schlich sich JoBo davon und bestellte beim Thai am Flughafen eine Tom Kha Gai – aufgewärmt aus der Büchse.
Eine Galllone Kaffee vom Starbucks folgte und ehe er sich versah, sass er wieder gegenüber Zara im Klassenzimmer.
Ein gewisser Malcom Dawis spielte Dixieland.
Der Coach brauchte dringend Ritalin, so die schnelle Diagnose JoBos. Stolz lief er in seinem Cord Anzug zwischen den Flipcharts herum und fasste den Morgen noch einmal zusammen. Für JoBo war alles ziemlich neu, er schien am Vormittag wirklich einiges verpasst zu haben.

Von der hinteren Reihe zog der Coach eine alte und wacklige Pinwand hervor, auf der eine Aufgabe stand. "Führen durch Vertrauen", so die Überschrift.
Darunter waren einige Strichmannchen stumme Zeugen davon, dass der Coach fest davon überzeugt war, dass Worte immer von grafischen Elementen begleitet werden müssen.

"Wir bilden Zweiergruppen, die einander durch die Gänge führen, wobei dem Geführten die Augen verbunden werden. Sind noch Fragen?"
JoBo bildete eine Gruppe mit einem alten Langstreckenkapitän, der er noch von seinen Streifzügen durch die dunklen Gassen von Bangkok kannte. Dieses Team, so war JoBo überzeugt, würde schnell im nahegelegenen Pub landen.

Zara und der Handy-Copilot bildeten ein Team und alle bemitleideten den Jungspund aus dem hohen Norden. Augenbinden wurden verteilt und im Hintergrund lief Dixieland. Der Coach betonte noch einmal die wertvolle Ausbildungsmethotik, die hinter dieser Übung stand und wünschte den Teilnehmern viel Spass und vor allem viel Vertrauen.

Exakt sechs Minuten nach Übungsbeginn wurde JoBo ein großes Helles serviert und die beiden Kapitäne stiessen auf das erfolgreiche Seminar an.

Die Gläser waren noch nicht halb leer, als der Handy-Copilot das Pub betrat. "Wo hast du Zara gelassen?", fragte JoBo neugierig.
"Ach, die habe ich mit verbundenen Augen in ein leeres Schulzimmer gestellt und ihr eingeflösst, sie sollte Vertrauen haben. Mal schauen, wie lange das Vertrauen anhält. Prosit!"

Sechs Grosse später sassen sie noch immer am Tisch und lobten den krönenden Abschluss des anfänglich doch langweiligen Seminars.

Winterfreuden


TWRMädels Wunsch sei mir Befehl!

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JoBo lebt noch. Nach seinen Langstreckenabenteuern und der Umschulung zum Kapitän, gönnt er sich ein paar freie Tage in der Engadiner Bergwelt. 
Dunkle Wolken ziehen über dem Engadin auf. 
"Herr Bohnenblust, hören sie mich?»
«Ich glaube der ist weg.»
«Hallo Herr Bohnenblust, hören sie mich?»

JoBo lag ausgestreckt auf der Skipiste auf 2430 Meter über Meer und blutete leicht aus der Nase. Sein Skistock war an drei Stellen gebrochen und die Brille voller Schnee. Um ihn herum standen drei Personen, zwei davon ausgesprochen hübsche Rettungssanitäterinnen. Er träumte, die anderen reanimierten, schufteten, halfen.

«Reich mir mal die Taschenlampe! Die Pupillen reagieren, also vermutlich kein Schädel-Hirn-Trauma. Diese Unterländer! Kaufen sich einen Helm und einen Rückenpanzer und glauben danach, sie seien Cuche!»

JoBo träumte von pilotischen Heldentaten, Seitenwindlandungen am Limit des Flugzeugs und heiklen Notfällen, die nur dank seines beherzten Eingreifens glimpflich ausgingen. Er war ein Held, der als letzter von Bord ging, zumindest in seinen Träumen.

In der Ferne hörte man das Geknatter des REGA-Hubschraubers näher kommen. Mit dem Lärm kamen die Gaffer, mit den Gaffern die Probleme. Skistöcke wurde herumgewirbelt und Skimützen verabschiedeten sich von den Köpfen der Besitzer Richtung Tal. Drei Schümli-Pflümli wurden auf Tisch 12 weggeblasen und die klebrige und braune Flüssigkeit verteilte sich auf dem Kunstfell der weissen Bognerskijacke einer deutschen Skiläuferin. Den Hubschrauberpiloten interessierten die Probleme modebewusster Deutscher nicht, er landete sicher auf seinen zwei Kufen und ein Arzt spurtete zu JoBo.

JoBo erwachte kurz aus seinen Träumen. Er blickte in zwei wunderschöne dunkle Augen, die einer Rettungssanitäterin in roter Kluft gehörte. Noch im Spital war er davon überzeugt, dass ihn Melanie Winiger persönlich mit dem Hubschrauber abholte. Die Schmerzmittel taten ihre Pflicht und JoBo verabschiedete sich wieder in das Reich der Träume.

Das Nächste, an was sich JoBo erinnerte, war Knoblauchgeruch. Langsam öffnete er seine Augen und erblickte neuerlich das Gesicht einer Frau. Nicht so jung, nicht so hübsch und neben den blauen Augen bildeten sich Grübchen, die bei Melanie vorher nicht da waren.

«Bongiorno Signore Bohnenblust., mi chiamo Alessandra.»

JoBo verstand kein Italienisch, kombinierte aber schnell. Alessandra stand auf dem Namensschild über der riesengrossen Brust und darunter stand Krankenschwester Klinik Gut. An ihrem Atem erkannte er, dass die Signora Spaghetti Aglio et Olio liebte, das Zähneputzen weniger. Er schlief wieder ein.

Kurz vor der Arztvisite erwachte JoBo mit Schmerzen am ganzen Körper. Er schaute sich im Zimmer um und brauchte eine Weile, bis er sich orientiert hatte. Er war offensichtlich in einem Spitalbett. Schläuche links und rechts seines Körpers waren gefüllt mit undefinierbaren Flüssigkeiten und hinter seinem Kopf piepte es im Takt des Herzens. Er lebte, wenn auch mit grossen Schmerzen und wenig Hoffnung auf Mitleid.

Die Türe wurde schwungvoll aufgestossen. Ein braungebrannter Arzt trat ins Zimmer, im Schlepptau hatte er drei Damen unterschiedlichen Alters und unterschiedlicher Schönheit. Der Arzt war Deutscher mit schwäbischem Akzent. 

«Na Herr Bohnenblusch, sie hend wohl ihre Skikünschde überschädzd, gell? Die charmande Frau Candrian wird ihne ebbes Blud abnehme, d Verbänd wechseln und sie so zurechd mache, dess sie für ihre Beddnachbarn, dr gleich oigelieferd wird, angenehm rieche.»

Und schon war der Herr Doktor wieder weg.
Frau Candrian schien für Sorgen, Schmerzen und «Bebechen» von verunfallten Flugkapitänen kein Verständnis zu haben. Schnell, Gründlich und ohne Respekt für intime Zonen, wurde JoBo gewaschen, gepudert und zurecht gemacht.

Nach dieser Tortur schlief er wieder ein.

Mit lautem Gerümpel und Gepolter wurde die Türe aufgestossen und begleitet von zwei Damen und lauten Flüchen, wurde JoBo's Leidensgenosse ins Zimmer gestossen.

«Ich bin Privatversichert, habe Anrecht auf ein Einzelzimmer und will, wenn schon im Zweibettsaal, am Fenster liegen!»
«Nun beruhigen sie sich doch Herr Huber. Der Herr neben ihnen ist auch Privatversichert und ich bin sicher, dass sie sich unter Piloten bestens verstehen werden!»

Huber fackelte nicht lange und ging auf Angriff:

«Wer die grössere Kiste fliegt, darf am Fenster schlafen! Ich fliege den Gulfstream G650!»
«A321»
«Also, wer fliegt den schnelleren Jet? Höchstgeschwindigkeit des G650 ist M 0.925.»
«Tiger F-5, Maximalgeschwindigkeit M 1.64.»

«OK, dann frage ich anders: Wer fliegt den Jet neuster Technologie?»
«Kannst den Fensterplatz haben…»

Huber klingelte wie wild und nacheinander betraten ein Arzt, die Chefkrankenschwester und Alessandra das Zimmer. Schlussendlich blieb Alessandra und das Zimmer füllte sich mit Knoblauchduft. Es brauchte 15 Minuten und viel Schweiss, bis die schweren Spitalbetten da waren, wo sie Herr Huber wollte. Zufrieden war der G650 Kapitän nur wenige Minuten. Er klingelte wieder:

«Es blendet!»
«Willkommen in der Engadiner Bergwelt mit dem berühmten Sonnenlicht!»

Alessandra verliess den Raum kopfschüttelnd.

Den Herren Bohnenblust und Huber wurde es nicht langweilig. Sperrt man zwei Piloten in ein Zimmer, die vor Jahren noch im gleichen Konzern (SAirGroup) aber nicht in den gleichen Firmen (Crossair und Swissair) gearbeitet haben, geht der Gesprächsstoff nie aus.

«Moritz war ein Held.»
«Blödsinn, der hat nur wegen unseres Geldes überlebt.»

«Ihr habt zuviel verdient, darum ging die Bude pleite.»
«Ihr seit zu langsam geflogen, darum gingen die Passagiere zu Air Berlin.»

«Ihr hattet viel zu viele Langstreckenflugzeuge.»
«Ihr hattet viel zu viele technische Probleme auf euren Kisten.»

«Ihr seit nur ILS hinuntergerutscht.»
«Wir flogen in Kai Tak den IGS13 und noch heute den Canarsie in New York.»
«Nichts gegen London City und Lugano!»
«Ach wegen ein paar Grad Anflugwinkel mehr…»
«Ihr braucht ja ein Care Team nach der Landung, wenn der Gleitwinkel 3° übersteigt!»
«Und ihr braucht ein Care Team, wenn ihr mehr als 20 Tonnen landen müsst.»

«Ihr arbeitetet zu wenig.»
«Ihr arbeitetet zu viel.»

«Eure Uniform war wie ihr: Hässlich, aber Hauptsache teuer und und durchgestylet.»
«Eure Uniform war …»

… und wenn sie nicht genesen sind, dann streiten sie sich noch heute!